Vielmachglas

Für den Film „Vielmachglas“ lasse ich Matthias Schweighöfer um die Welt reisen. Für 11 Orte, 12 Kostüme und 11 Sets habe ich 10 Minuten Zeit. Geht nicht? Geht doch!

Vielmachglas ist der neue Film von Florian Ross und inzwischen das siebte Mal, das ich mit ihm zusammenarbeite. Wenn er anruft, weiß ich, das wird eine Herausforderung. Warum? Weil er wie kaum ein anderer Regisseur, mit dem ich bisher zu tun hatte, auf visuelle Feinheiten setzt und jeden kleinsten Fehler sofort bemerkt. Wenn Ross etwas gut findet, gehe ich davon aus, dass es perfekt ist. Wenn nicht, wird es eine lange Nacht.

In Vielmachglas spielt Matthias Schweighöfer Eric Ruge, einen Globetrotter, der als Abenteurer auf der ganzen Welt unterwegs ist, von Bergdörfern in Peru bis zu den Gletschern in Island.

Der Auftrag von Ross: Eine Galerie mit Fotos von Eric Ruge bei seinen Reisen und Abenteuern, die später im Haus von Erics Eltern zu sehen sein sollte. Diesmal ging es also nicht um Filmszenen sondern um Requisite.
Fotos von Matthias vor verschiedene Hintergründe zu setzen klingt erstmal einfach, aber das waren keine Instagramfotos. Die Bilder sollten später auf 10 Meter großen Kinoleinwänden noch täuschend echt wirken. Vor allem weil sie in einem der Schlüsselmomente des Films zum Einsatz kommen.
Dafür muss man Kontraste, Farben und auch das Bildrauschen 100% passend zum Original bearbeiten, und – was am schwierigsten ist – auch das Licht in der Szene. Eine Herausforderung, die in dieser Qualitätsstufe ganz spezielle Technik benötigte.

DER „ICH BASTEL MAL KURZ EIN 3D MODELL“-ANSATZ

Wir hatten ca. einen Monat Vorlaufzeit, dann mussten die Fotos beim Dreh eingesetzt werden. Daher war der Plan, anfangs mit Archivmaterial zu arbeiten. Zuerst habe ich mit der Requisite zusammen eine Datenbank an Hintergründen aufgebaut. Pantaleon hat uns dann Archivfotos von Matthias zur Verfügung gestellt. Nach Abstimmung mit Ross habe ich Matthias testweise in ca. 15 Shots eingebaut. Sowohl den Erwachsenen als auch Matthias als Kind.

In einigen Fällen war in den Ausgangsfotos bereits jemand zu sehen und ich übertrug nur Matthias‘ Kopf und passte sein Alter etwas an, weil die Fotos einen längeren Zeitraum abdecken sollten. Weil er ziemlich gut trainiert ist, musste ich dann auch die Proportionen und Muskeln anpassen. Die große Hürde blieb aber das Licht. Das musste aus exakt derselben Richtung kommen wie im Ausgangsbild, auch dieselbe Härte oder Weichheit haben und auch die restliche Umgebung berücksichtigen: Der gelbe Sand einer Wüste, grüner Dschungel oder das Blau des Himmels färben auf eine Person ab.

Eigentlich liegt in solchen Fällen auf der Hand, gezielt neue Bilder zu shooten, aber zu diesem Zeitpunkt drehte Matthias zwei Filme, eine Serie und war noch als Musiker on Tour. Einen Termin für einen Shoot gab es also erstmal nicht. Ich musste mich vorerst auf Archivmaterial beschränken und ganz tief bis zum Boden der Trickkiste greifen.
Für meinem Auftrag für „you are wanted“ hatte ich aus einem Bullet Time Shot (Der aus „The Matrix“ bekannt gewordene Zeitlupeneffekt) von Matthias ein 3D Modell rekonstruiert. Dieses 3D Modell war nicht für Nahaufnahmen geeignet, aber ich konnte es passend zur Szene neu beleuchten, um eine Vorlage für Schatten und Lichter zu erhalten. Da ich mich die letzten 16 Jahre kontinuierlich im Portraitzeichnen geübt habe, konnte ich diese Lichtvorlage dann in Photoshop auf das Portrait übertragen.

Das rekonstruierte 3D Modell von Matthias als Beleuchtungsreferenz

Ein erster grober Test von der 3D Methode, um Licht anzupassen.

Kurz vor dem Dreh stand aber fest, dass Matthias für seine Rolle Dreadlocks bekommt. Damit waren fast alle bisher erstellten Bilder vom Tisch, mit Ausnahme derer, auf denen er eine Kopfbedeckung trug. Also gab es trotz Matthias engem terminkalender dfoch einen Termin für eein Shooting.

Der Dialog mit Florian Ross lief ungefähr so ab:
„Du musst nach Berlin und mit Matthias shooten. Er hat aber nur 2 Stunden Zeit“
„Wieviel  Sets?“
„11“
„Unmöglich“
„Das kriegste hin, und telefonier mal mit der Maske und Garderobe wie lange die brauchen“

Maske: „Dreadlocks und Tattoo dauern 70 Minuten“
Ich: „Ok..“
Garderobe: „Umziehen sind 4-5 Minuten pro Shot“
„Ok……“

Ich hatte also maximal 10 Minuten Zeit, 11 Sets mit Matthias mit perfektem Licht und Pose zu shooten, inclusive Umbau und Umkleiden in einem Zeitfenster von 50 Minuten… Zusätzlich mussten alle Bilder am nächsten Morgen um 8 Uhr retouchiert und gedruckt mit Patina am Set in Köln sein.
Die Produktion, die vorher mehrere Wochen dauerte, schrumpfte auf einen Tag zusammen. Nicht ganz, denn so ein Vorhaben lässt sich nur mit absolut präziser Vorproduktion bewerkstelligen. Daher floss einiges an Zeit in den Shootingplan.
Für den Shootingtag habe ich ein Doppelstudio gebucht, eine äußerst talentierte Assistentin und ein Double für Matthias, mit dem wir morgens das Set vortesten konnten.

Zu allen „Hero“-Shots habe ich Storyboards erstellt und Blitze, Farbfilter und Kameraobjektive exakt geplant. Außerdem habe ich in Photoshop schon zahlreiche Filter und Einstellungen vorbereitet.

Links: Zwei Storyboardfassungen, die ich zur Abstimmung mit dem Regisseur verwendet habe. Rechts: Das Orginalbild aus dem Fotoshoot mit Matthias und unten die finale Fassung im Film Vielmachglas.

Weitere fertige Shots:

Am Shootingmorgen ging alles unglaublich schnell. Wir haben die Sets mit dem Double getestet, jeder Blitz – wir hatten insgesamt 8 im Einsatz – bekam seine Nummer, auf dem Boden platzierten wir Marker mit Szenennummer, Blitzhöhe, Stärke, Filtern etc. alles bis ins letzte Detail festgehalten.

Jede Blitzposition, Lichteinstellung und Filter haben wir exakt mit Bodenmarkierungen festgehalten. Nur so konnten wir in Minutenschnelle umbauen.


Als Matthias kam, waren Maske und Garderobe voll eingerichtet und wir hatten alle Sets durch. Inzwischen hatte er aus der Maske auf Instagram gepostet, mit vollen Dreadlocks und bereits über 20.000 likes. Da stieg bei mir dann doch der Adrenalinspiegel, aber für Nervosität bleibt bei so einem Auftrag keine Zeit.


Matthias kam rein, warf einen Blick auf das Storyboardbild auf dem Monitor, ich gab ein paar knappe gezielte Anweisungen, und Sekunden später war das Bild im Kasten. Was mich beeindruckt hat: Er braucht gefühlt keine 5 Sekunden um die perfekte Haltung zu finden, selbst wenn die Pose genau stimmen muss, weil er im fertigen Bild mit anderen interagiert. Und trotzdem schaut er sich das Ergebniss nochmal an und pusht es noch weiter zur Perfektion.
Während ich in einem Studio shootete, baute meine Assistentin im Nachbarstudio das Set nach den Bodenmarkierungen um. Ein paar kleine Anpassungen und schon war das nächste Set startklar.

Für Selfies mit Matthias oder Doku war leider keine Sekunde Zeit, aber wir haben den Shoot mit einem großartigen Team fast auf die Minute fertig bekommen. Zum letzten Foto vor der golden Gate Bridge nahm er sich sogar noch die Zeit, eine Anekdote zu einem Dreh auf der Brücke zu erzählen.

Dann verschwand er wieder zur Tür und ich hatte jede Menge Material zu bearbeiten.
Keine 10 Minuten vom Studio gab es ein Produktionsbüro von Pantaleon, dass ich einen Tag mit nutzen konnte. Dort stand schon mein Rechner und ein Grafiktablettmonito, auf dem ich direkt zeichnen konnte, sowie ein Fotodrucker zum Vortesten der Bilder. Überhaupt hat Pantaleon wieder alles dafür getan, dass ich in der knappen Zeit so effektiv wie möglich produzieren konnte.
Gegen 4 Uhr morgens konnte ich die letzten Bilder rausschicken und keine 5 Stunden später wurde in Köln damit gedreht.9

Inzwischen ist der Film im Kino, ich konnte die Premierenfeier besuchen,
und der Film ist etwas ganz besonderes, sogar Auslöser für eine kleine Subkultur geworden. Wer auf Instagram schaut, findet unter #Vielmachglas einige Menschen, die sich vom Film inspiriert auf Reisen begeben haben.

Mein persönliches Highlight: Ich hatte Ross für die Figur „Ben“, der einen Fotografen spielt, einige meiner eigenen Bilder gegeben. Eines der Bilder, die im Film zu sehen sind, zeigt meinen Vater, der jahrzehntelang Theaterschauspieler war. Seinen wohl letzten Auftritt hat er nun in diesem wunderbaren Film namens Vielmachglas. Da kam mir dann schon eine Träne.

Hier gibt es noch ein paar Zeitrafferaufnahmen von meiner Retouchearbeit:

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